Im Fokus– Reiner Eichenberger
Reiner Eichenberger ist Ökonom und Professor für Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Fribourg, Schweiz.
Was bedeutet für Sie Verlässlichkeit?
Wenn Menschen gegenüber anderen in unvorhergesehenen Situationen ohne vorherige Absprache so zu handeln versuchen, wie es sich die anderen erhoffen und versucht hätten abzusprechen, wenn sie die Situation vorausgesehen hätten.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Privatleben oder Beruf nennen, bei dem die Verlässlichkeit eine entscheidende Rolle gespielt hat?
In Familie und Beruf ist Verlässlichkeit für Erfolg und Lebensglück von grösster Bedeutung, aber keineswegs selbstverständlich. Meine Ehefrau beeindruckt mich immer wieder durch ihre Verlässlichkeit – nicht nur mir gegenüber.
Mit welcher Eigenschaft assoziieren Sie am ehesten die Verlässlichkeit?
Vertrauen, Toleranz, langfristige Orientierung, vernünftiger Egoismus: Verlässlichkeit ist dann besonders fruchtbar, wenn sie auf einer gewissen Gegenseitigkeit beruht. Denn dann kann sie beidseitig wachsen. Weil es aber um unvorhergesehene und oft unklare Situationen geht, kann man die Verlässlichkeit des Gegenübers oft nicht sicher beurteilen. Da braucht es Vertrauen, und im Falle vermuteter Nachlässigkeit eine gewisse Toleranz.
Welche Berufsgruppe assoziieren Sie mit Verlässlichkeit? Warum?
Verlässlichkeit gibt es in allen Berufen. Sie gedeiht vor allem zwischen Menschen, die gemeinsam unter Wettbewerbsdruck, aber nicht in direkter Konkurrenz gegeneinander stehen. Aber natürlich bleiben auch da die einzelnen Persönlichkeiten wichtig, genau wie bei der Verlässlichkeit unter Ehepartnern.
Auf wen können Sie sich verlassen?
Im Beruf auf die meisten meiner Assistierenden und meine Sekretärin. Wir haben gemeinsame Ziele und konkurrieren mit anderen Lehrstühlen, aber nicht direkt untereinander. Ich kann ihre Stelle nicht übernehmen, und sie nicht meine, sondern wir profitieren gegenseitig von unseren Erfolgen. Das ist in Berufen, in denen der Nachwuchs die Alten verdrängen kann und gegenseitig direkt um die Stellen konkurrieren, völlig anders.